Wut und Wahrheit (zum Thema Gewerbegebiet Steinig)

Stadtgespräch Pforzheimer Kurier 30.07.2011

 

Wenn einem die vielzitierten „Wutbürger“ derart auf die Pelle rücken wie bei der jüngsten Gemeinderatssitzung, kann einem schon ein wenig mulmig werden. Es ist gewiss nicht leicht und auch nicht angenehm, vor voll besetzten Rängen Entscheidungen zu treffen, die den Anliegen der Protestierenden völlig zuwider laufen. Die Mehrheit des Gemeinderats hat sich, als es am Dienstag um das geplante interkommunale Gewerbegebiet Steinig ging, von der zahlenmäßig beeindruckenden Präsenz der Bürgerinitiative Nord jedoch nicht beeinflussen lassen. Zum Glück!

Warum zum Glück? Bisweilen sind wir Journalisten in derlei Situationen ja gern geneigt, Sympathien für die aufbegehrenden Bürger zu entwickeln. Weil sie sich als „kleine Leute“ gegen „die Mächtigen“ stellen. Das gilt im Grunde auch für den vorliegenden Fall. In Sachen Steinig kommt aber noch ein anderer bedeutender Aspekt hinzu: Die Lage der Stadt. Pforzheim ringt um seine Zukunft. Zwar noch nicht wie ein Ertrinkender, aber doch ziemlich vehement. Deshalb kann man nicht einerseits beklagen, welch hohe Arbeitslosigkeit in Pforzheim herrscht, und andererseits die Grundlagen zur Ansiedlung neuer und zum Hierbleiben bestehender Unternehmen verweigern. Gewerbeflächen sind für die Zukunft dieser Stadt unerlässlich. Wer so argumentiert, negiert nicht die Bedenken der Steinig-Gegner, sondern stellt das Gemeinwohl über die Belange einzelner Bürger oder auch einer Gruppe von Bürgern.

Die in Anbetracht der aufgeheizten Emotionen lobenswert sachliche Aussprache wurde nur durch wenige Ausrutscher getrübt. Bürgermeister Alexander Uhlig hätte sich den Seitenhieb gegen die stets gut informierten und überaus sachkundig argumentierenden Grünen, nur weil die einmal in einer Ausschusssitzung entschuldigt gefehlt hatten, ruhig sparen können. Und die von der SPD-Fraktionsvorsitzenden Dorothea Luppold an den Tag gelegte Dünnhäutigkeit hätte beinahe zu einem Eklat geführt. Als sie jene, die gegen das geplante Gewerbegebiet aufbegehren, pauschal als „undemokratisch“ bezeichnete, war Stadtrat Claus Spohn von der Linken nicht der einzige, der nur mit Mühe an sich halten konnte.
Bloß gut, dass Oberbürgermeister Gert Hager durchweg die Ruhe bewahrte. Er rügte – wegen ihrer eigentlich nicht statthaften Beifalls- und Missfallensbekundungen – die Zuhörer zwar einmal, ließ sie dann aber doch gewähren. Und persönliche Angriffe auf den Plakaten der Bürger übersah er geflissentlich.
Bedauerlich hingegen die Art und Weise, wie die Rathausspitze und etliche Gemeinderäte den Bürgern suggerierten, mit dem Votum vom Dienstag sei im Grunde noch gar nichts entschieden und es gäbe noch genügend Einspruchsmöglichkeiten. Das grenzte dann doch an Scheinheiligkeit. Wenn die Enzkreis-Gemeinden Eisingen, Neulingen und Kämpfelbach nicht abspringen, dann kommt das Gewerbegebiet Steinig. Das ist die – je nach Sichtweise – gute, unbequeme oder schreckliche Wahrheit. Mike Bartel


Mit freundlicher Genehmigung des Pforzheimer Kurier